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Welchen Einfluss hat das Selbstwertgefühl auf unser Verhalten und Erleben? Welche Bedeutung wird einem hohen Selbstwert zugeschrieben? Was hat Narzissmus mit diesem Thema zu tun? Und wofür stehen explizites und implizites Selbstwertgefühl? Hier findest du einige Antworten.

Einführung

Das Forschungsinteresse zum Selbstwert ist in der Psychologie schon seit langer Zeit enorm, beschränkte sich bis in die 1990er-Jahre jedoch vornehmlich auf die explizit geäußerten Selbstsichten. Weitere, stärker im Unterbewusstsein verankerte (implizite) begannen erst mit den Arbeiten von Greenwald und Banajis in den Mittelpunkt zu rücken. Diese entwickelten den Implicit Association Test (IAT), mit welchem in der Folgezeit auch automatisch ablaufende Selbstbewertungen erfasst werden konnten. Das explizite und das implizite Selbstwertgefühl sind unabhängig voneinander, stehen jedoch miteinander in Beziehung. Beide Selbstwerte können jeweils hoch oder niedrig ausfallen, sodass vier mögliche Kombinationen von Selbstwertschätzungen differenziert werden können. Mindestens zwei von ihnen – die diskrepanten –  sind mit negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden sowie das Verhalten assoziiert.

Die Entstehung sowie die Verbindung von Narzissmus und Selbstwertgefühl werden in der Literatur teilweise kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht jedoch darin, dass Narzissmus mit einer diskrepanten Selbstwertschätzung einhergeht. Diskrepant meint in diesem Zusammenhang, dass das explizite und das implizite Selbstwertgefühl unterschiedlich stark ausgeprägt sind (hohes explizites in Kombination mit niedrigem impliziten Selbstwertgefühl bzw. andersherum).

Das Selbstwertgefühl

Das Selbstwertgefühl resultiert aus der eigenen positiven bzw. negativen Bewertung des Wissens über sich selbst.

Die Höhe des Selbstwertgefühls beeinflusst unser Verhalten. Reaktionen, die wir auf ein Verhalten bekommen, wirken sich wiederum auf unser Selbstwertgefühl aus. Sobald wir das Erwachsenenalter erreichen, bleibt unser Selbstwertgefühl relativ stabil – es kann sogar zu den Persönlichkeitseigenschaften gezählt werden. Die Grundsteine für die Höhe unseres Selbstwertgefühls werden durch das Verhalten unserer ersten Bezugspersonen in der Kindheit gelegt. Umwelteinflüsse können zu einer weiteren Entwicklung führen.

Mit der Höhe und Stabilität des Selbstwertgefühls ist auch das psychische Wohlbefinden verbunden. Hier eine kleine Zusammenfassung von Befunden:

  • Personen mit einem stabil hohen Selbstwert verhielten sich selten wütend oder feindselig – war dieser hohe Selbstwert jedoch instabil, kehrte sich das Muster um.
  • Ein niedriger Selbstwert steht im Zusammenhang mit Suizidgedanken (sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen).
  • Ein niedriger Selbstwert stellt einen Risikofaktor für Essstörungen dar.
  • Psychisches Wohlbefinden und ein hohes Selbstwertgefühl stehen miteinander im Zusammenhang.

Das Selbstwertgefühl allgemein zu betrachten, ist wenig aussagekräftig – daher sollten sowohl das explizite als auch das implizite Selbstwertgefühl miteinbezogen werden.

Explizites Selbstwertgefühl

Hierunter sind die Bewertungen des Selbst zu verstehen, die uns bewusst sind. Sie können zum Beispiel mit Interviews oder Fragebogen erfasst werden – jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass es zu Verzerrungen kommen kann (Selbsttäuschung, soziale Erwünschtheit etc.). Früher wurde das allgemeine Selbstwertgefühl häufig mit dem expliziten gleich gesetzt. Ein gängiges Messverfahren stellt die Rosenberg-Self-Esteem-Scala dar.

Implizites Selbstwertgefühl

Eine indirekte Erfassung soll es ermöglichen, Auskunft über Einstellungen und Selbstbewertungen zu erhalten, die nicht bewusst verzerrt werden. Es geht weniger um gänzlich unbewusste Bewertungen, sondern vielmehr um automatische. Eine Möglichkeit der Erfassung besteht durch den Impliziten Assoziations Test. Hier kannst du deine eigenen impliziten Einstellungen zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen testen (aktuell nicht in deutscher Sprache verfügbar).

Zusammenhang zwischen explizitem und implizitem Selbstwertgefühl

Der Dualen Prozesstheorie folgend verfügen wir über zwei Systeme: Ein kognitives und ein experimentelles System.

Das Erste ist relativ flexibel, es wägt ab, arbeitet bewusst und verhält sich rational – hier lässt sich das explizite Selbstwertgefühl verorten. Das Pendant bildet das experimentelle System, dieses lässt sich leicht aktivieren, da es alte Erfahrungsmuster generalisiert.

Bezogen auf die Selbstbeurteilung bedeutet dies, dass die implizite sehr schnell, automatisiert sowie intuitiv erfolgt und somit bewusst nur schwer zu kontrollieren ist. Aktuelle Erfahrungen können relativ leicht die explizite Selbstsicht verändern, wohingegen die implizite Selbstbeurteilung weiterhin in der ursprünglichen Form bestehen bleiben kann – dies kann dazu führen, dass zwei unterschiedliche Einstellungen hinsichtlich ein und desselben Objektes existieren.

Formen der Selbstwertkombination

Wenn explizites und implizites Selbstwertgefühl die gleiche Höhe aufweisen, bezeichnet man dies als kongruentes Selbstwertgefühl. Am Optimalsten ist die Kombination eines hohen impliziten mit einem hohen expliziten Selbstwerts – die Person verfügt über eine stabile, positive Grundeinstellung gegenüber sich selbst. Konfliktreicher sind diskrepante Selbstwertschätzungen, hiermit sind unterschiedliche Ausprägungen im expliziten und impliziten Selbstwertgefühl gemeint.

Kongruentes Selbstwertgefühl

  • Niedriges Selbstwertgefühl: expliziter und impliziter Selbstwert sind gering
  • Hohes Selbstwertgefühl: expliziter und impliziter Selbstwert sind hoch

Diskrepantes Selbstwertgefühl

  • verletztes Selbstwertgefühl: Der explizite Selbstwert ist niedrig ausgeprägt, der implizite hoch
  • fragiles Selbstwertgefühl: der explizite Selbstwert ist hoch, der implizite jedoch niedrig ausgeprägt

Personen mit einem fragilen Selbstwertgefühl benötigen die Bestätigung ihres Umfeldes, ihr Selbstwert ist sehr variabel und bedarf der kontinuierlichen Kontrolle. Es besteht eine beständige Versuchung, den niedrigen impliziten Selbstwert nicht erleben zu müssen, indem er durch das hohe explizite Selbstwertgefühl verdeckt wird.

Das verletzte Selbstwertgefühl wurde bislang relativ stiefmütterlich behandelt. Annahmen zufolge ist ein ehemals hoher expliziter Selbstwert aufgrund negativer Erlebnisse zu einem niedrigen herabgesunken, während der hohe Wert auf der impliziten Ebene bestehen blieb.

Narzissmus

Betrachtet man Narzissmus lediglich als Synonym für „Selbstliebe“, kann man der Vielschichtigkeit des Begriffes sowie der zugrundeliegenden Mechanismen nicht gerecht werden. Selbstliebe wird erst bedenklich, wenn die eigene Selbstwertschätzung extrem die realen Fähigkeiten der eigenen Person übersteigt. Nach Freud ist Narzissmus unter anderem durch das Streben nach Perfektion, der Angst vor Liebesverlust und Projektion gekennzeichnet.

Da das Individuum sich selbst nicht die erforderliche Selbstbestätigung geben kann, benötigt es sein Umfeld, von dem es Bewunderung und Anerkennung verlangt. Oftmals werden hierfür kontraproduktive (zum Teil auch manipulative) Verhaltensweisen angewendet: Die Beziehungen von Narzissten können zwischen der kompletten Abwertung des Gegenübers bis hin zur Idealisierung variieren. Obwohl oder gerade weil sie so stark auf die Anerkennung von außen angewiesen sind, misstrauen sie anderen Personen. Wenn die gewünschte Anerkennung ausbleibt, kann dies zu wütenden oder aber auch defensiven Verhaltensweisen führen. Das positiv erhöhte Selbst dient nach der Auffassung von Kohut der Verdeckung der eigenen Selbstabscheu.

Zum Ursprung gibt es unterschiedliche Auffassungen:

Eine fehlende bzw. inkonsistente Bestätigung des eigenen Verhaltens durch die Bezugsperson in der Kindheit könnte dazu geführt haben, dass Allmachtsgedanken nicht in ein realistisches Selbstbild umgewandelt werden konnten. Denkbar ist jedoch auch, dass der Mangel an empathischem Verhalten der primären Bezugsperson zu Minderwertigkeitsgefühlen führt, die durch ein grandioses Selbstbild bekämpft werden sollen.

Andere Vertreter glauben, dass Narzissmus durch ein Elternhaus entstehen kann, in dem das Kind überschätzt und zu sehr bestätigt wird. In der Realität müsse das Kind später an diesen (unerfüllbaren) Anforderungen  zwangsweise scheitern, während jedoch die Vollkommenheitsansprüche an sich selbst aufrechterhalten bleiben. Dies führt zwangsweise zu einer Selbstentwertung.

Nicht alle Narzissten weisen jedoch ausschließlich grandiose Bilder von sich selbst auf, es werden mindestens zwei Formen differenziert: der grandiose und der vulnerable Narzissmus.

Offener Narzissmus – grandiose Narzissten

Dies ist der Subtyp, den die Allgemeinheit zumeist vor sich sieht, wenn es um Narzissmus geht. Ein selbstgerechter, arroganter Mensch. Er ist abhängig von der Bewunderung anderer Personen und tritt häufig dominant oder sogar aggressiv auf. Gibt es Konflikte in seiner Umwelt, werden diese selbstwertschützend auf Ursachen attribuiert, die außerhalb seiner selbst liegen (z.B. der „böse“ Arbeitgeber, der „unfähige“ Partner). Dies führt dazu, dass er sich nicht mit seinem eigenen Unvermögen auseinandersetzen muss. Er verfügt über ein hohes explizites sowie ein niedriges implizites Selbstwertgefühl – ihm entspricht also die fragile Selbstwertschätzung. Sein Selbstwertgefühl und seine Lebenszufriedenheit sind im Allgemeinen höher als bei verdeckten Narzissten.

Verdeckter Narzissmus – vulnerable Narzissten

Vulnerable (verletzliche) Narzissten fürchten sich vor Zurückweisung, sie reagieren zumeist überempfindlich auf Kritik, können jedoch auch rechthaberisch und ausbeuterisch sein. Ihre Grandiosität ist eher defensiver Art und geht häufig mit dem Gefühl der Inkompetenz einher. Während sie im Inneren an sich selbst grandiose Erwartungen stellen, verhalten sie sich nach außen oftmals gehemmt, schüchtern und empathisch. Im Vergleich zum offenen Narzissten, fällt es ihnen schwerer Strategien zur Erhöhung des Selbstwertgefühls anzuwenden, was zur Folge hat, dass sie noch stärker auf die Bestätigung anderer angewiesen sind. Durch die Verleugnung ihrer eigenen Ansprüche, erleben sie häufig Wutausbrüche, welche wiederum Scham und Depression nach sich ziehen. Aufgrund einer starken Bindungsangst sind sie in ihrer Beziehungsgestaltung stark beeinträchtigt – das Entwickeln und Fortsetzen von sozialen Kontakten fällt ihnen schwer.

Einige empirische Ergebnisse

  • Personen mit einem diskrepanten Selbstwertgefühl weisen die höchsten Narzissmus-Werte auf – besonders hervor sticht hier der Typ der fragilen Selbstwertschätzung
  • Personen mit einer fragilen Selbstwertschätzung weisen die stärksten Tendenzen auf, defensive Verhaltensweisen in einem kontraproduktiven Ausmaß anzuwenden, bei Menschen mit einem hohen expliziten Selbstwertgefühl sind die Tendenzen am geringsten
  • Ein hoher impliziter Selbstwert steht mit mehr positiven Lebensereignissen, geringerem negativem Affekt und besserem Wohlbefinden im Einklang
  • Das implizite Selbstwertgefühl scheint einen stärkeren Einfluss auf die Gesundheit zu haben, als das explizite
  • Teilnehmer mit einem vulnerablen Selbstwertgefühl sind häufiger depressiv und einsam, zudem besteht eine höhere suizidale Neigung
  • Ein hoher expliziter Selbstwert könnte ein Schutzfaktor vor Depressionen sein
  • Das implizite Selbstwertgefühl lässt sich durch klassische, unbewusste Konditionierung steigern
  • Eine kongruent hohe Ausprägung des Selbstwerts ist mit mehr Wohlbefinden und Gesundheit verbunden
  • Diskrepante Selbstwertschätzungen stehen im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Problemen und Symptomen

Lust auf mehr?

Nachstehend findest du weiterführende Links zu diesem Themengebiet.

Bücher

Die Auswirkungen des Selbstwertgefühls auf das physische und psychische Wohlbefinden

Kanning: Selbstwertmanagement  –  Die  Psychologie  des selbstwertdienlichen  Verhaltens

Kernberg: Borderline-Störungen  und  pathologischer  Narzißmus

 

PDF (frei und kostenlos zugänglich)

Baumeister,  R.  F.,  Campbell,  J.  D.,  Krueger,  J.  I.  &  Vohs,  K.  D.  (2003).  Does  high self-esteem cause better performance, interpersonal success, happiness, or healthier lifestyles?. Psychological Science in the Public Interest, 4, 1-44.

Greenwald,  A.  G.  &  Farnham,  S.  D.  (2000).  Using  the  Implicit  Association  Test  to measure self-esteem and self-concept. Journal of Personality and Social Psychology, 79, 1022-1038.